Sicher kennst du das: Du hast dich auf deinem Social-Media-Kanal einem kontroversen Thema gewidmet, eine „Unpopular Opinion“ (unpopuläre Meinung) geteilt oder auch etwas vermeintlich völlig Unverfängliches gepostet – und schon ist ein Shitstorm im Gange. Je nachdem, ob du bewusst oder unbewusst polarisiert hast, konntest du mehr oder weniger – oder auch überhaupt nicht damit rechnen. Vielleicht rollst du mit den Augen, weil es immer wieder dieselben stumpfen Kommentare sind. Oder du denkst: Das steht da doch gar nicht, was interpretieren die Leute da wieder rein?! Vielleicht fragst du dich aber auch: Was habe ich diesmal wieder falsch gemacht? Ich habe mir so viel Mühe gegeben, verdammt, was kann ich eigentlich?
Hör auf, dich zu ärgern! Du bist den Kommentaren deiner Follower*innen (oder fremder Krawallschachteln) nicht schutzlos ausgesetzt. Geh damit um! Resigniere nicht, sondern schau, was du falsch gemacht hast, wo es nur um Hate geht und welche deiner Aussagen du vielleicht einfach noch etwas genauer erklären musst. Gerade auf Plattformen wie Twitter oder Instagram hast du ja nur begrenzt Platz, dein Thema auszuführen. Manchmal braucht es mehr Worte, um zu verdeutlichen, warum du eine bestimmte Formulierung gewählt hast. Dazu ist die Kommentarspalte schließlich da: für eine (hoffentlich wertschätzende) Diskussion über deinen Input.
Wie du mit kritischen Kommentaren umgehst, Shitstorms vermeidest und zu wertschätzendem Austausch anregst, erfährst du in diesem Beitrag.
Inhalt:
- Wertschätzung
- Die richtigen Fragen stellen
- Schnell und angemessen reagieren
- Entschuldigen
- Merken und besser machen
1. Wertschätzung
Was mir im Umgang mit Hate, aber auch Kritik und anderen Meinungen hilft, ist mein persönlicher Grundsatz der Wertschätzung jedes Menschen, egal, was und wie er denkt. Nicht, dass das in der Praxis so einfach wäre. Wenn ich einen Kommentar lese, dem ich so überhaupt nicht zustimme, denke ich auch erstmal: „Hat die eigentlich Lack jesoffen?!“ Aber damit ich so etwas nicht schreibe, habe ich ein paar Regeln für mich aufgestellt:
- Niemals im Affekt antworten: Ich gebe dem Kommentar und meinen Gefühlen dazu immer erst Raum und beobachte, was er mit mir macht. Du kannst deine spontanen Assoziationen und Verwünschungen auch aufschreiben oder mit einer Kollegin oder einem Freund besprechen – aber schreibe nicht sofort zurück.
- Erst denken, dann schreiben, dann veröffentlichen: Manche Kommentare erzeugen krasse Abwehr in mir und es fällt schwer, konstruktiv zu antworten. Ich schlafe dann erstmal eine Nacht drüber – mit etwas Abstand wirkt die Sache oft klarer. Bin ich immer noch unsicher, schreibe ich erstmal auf, was ich denke und fühle und lasse den Text eine Weile liegen. Dann schaue ich ihn mir noch einmal an und schreibe Stellen um, an denen ich zum Beispiel wütend oder unsachlich geworden bin.
- Niemals beleidigen oder unsachlich werden: Diese Regel lässt sich nur dank der beiden ersten Schritte konsequent befolgen – sie ist die wichtigste für einen wertschätzenden Austausch. Ich darf mein Gegenüber nicht beleidigen oder abwerten, auch wenn es dasselbe mit mir macht. Schließlich will ich mich mit den Hater*innen nicht auf eine Stufe stellen, sondern antworte im Zweifelsfall lieber gar nicht.
Mir ist eine gewaltfreie Sprache sehr wichtig, aber ob sie mir immer gelingt? Nein. Manchmal muss ich mich erstmal in Ruhe aufregen, den Dampf ablassen, bevor ich wieder klar denken und den Kommentar sachlich bewerten kann. Das ist auch völlig in Ordnung – irgendwo muss die Wut ja hin, nur nicht vor den Latz des Kommentarmenschen, der dich vielleicht gar nicht angreifen wollte und den du damit verletzen würdest. Niemand wird gern kritisiert und die unangenehmen Gefühle sind okay, sie brauchen Raum. Gib ihnen diesen Raum und lass sie raus, sonst verbittern sie dich.
2. Die richtigen Fragen stellen
Eine wertschätzende Antwort ist aufwendig. Sie zu erarbeiten, ist ein zeitintensiver Prozess – auch wenn du einmal formulierte Antworten natürlich als Vorlage für ähnliche Kommentare nutzen kannst (siehe Punkt 5). Deshalb solltest du dir genau überlegen, wem du ausführlich zurückschreibst und wann es vergebene Liebesmüh ist. Ich stelle mir dazu immer drei Fragen:
Frage 1
Will die Person mich nur haten und hat keine eigenen Argumente? Dann brauche ich nicht zu antworten.
Indizien: Der Kommentar enthält persönliche Beleidigungen und unsachliche Anschuldigungen, sieht nach Copy-Paste aus, wird also überall unter Beiträgen zu diesem Thema verbreitet, und enthält rechtspopulistische, diskriminierende oder leere Phrasen.
Frage 2
Bringt die Person nachvollziehbare Kritik an, trägt sie aber unsachlich vor? Dann kann ich antworten, weise aber auf die Unsachlichkeit hin. Kommt ein weiterhin unsachlicher Kommentar zurück, antworte ich nicht mehr (oder kommuniziere dies).
Indizien: Der Kommentar ist unsachlich, aber nicht beleidigend, Phrasen mischen sich mit eigenen Argumenten, der Kommentar enthält persönliche Geschichten/Erfahrungen der Person, sie zweifelt selbst, sitzt „zwischen den Stühlen“.
Frage 3
Kommentiert die Person sachlich, bringt konstruktive Kritik an und/oder weist mich auf einen Fehler hin? Dann antworte ich in jedem Fall, erläutere meinen Standpunkt und/oder entschuldige mich für die ungenaue Darstellung bzw. meinen Fehler.
Indizien: Der Kommentar ist sachlich, aber bestimmt formuliert, die Person erläutert ihre Kritik und warum sie diese wichtig findet, zeigt aber meist auch Verständnis für die Gesamtaussage bzw. Teile des Postings, sie antwortet meist auch zurück und ist an einer Diskussion interessiert („Ich würde gerne hören, was du dazu denkst.“).
Mithilfe dieses Systems kannst du kritische Kommentare kategorisieren und sortieren, welche du vorrangig beantwortest. Speichere dir die Grafik ruhig ab!
Aber: Nicht jede*r in der Lage, sachlich zu kommunizieren . Wenn es um kritische Kommentare aus marginalisierten Gruppen geht, kann Sachlichkeit außerdem nicht immer erwartet werden. Das Ignorieren dieser Kommentare kann auch eine sogenannte „Silencing-Strategie“ sein. Ein anderes Wort dafür ist Tone-Policing. In diesem Artikel wird der Begriff in einem kleinen Comic erklärt (auf Englisch): https://everydayfeminism.com/2015/12/tone-policing-and-privilege/
3. Schnell und angemessen reagieren
Gerade als Unternehmer*in ist es wichtig, angemessen, wertschätzend und einheitlich auf Kommentare zu antworten. Klingt aufwendig? Es ist bei weitem nicht immer nötig, jeden kritischen Kommentar selbst zu beantworten. Eine gute Community regelt. Deine Follower*innen setzen sich oft für dich ein oder können deinen Standpunkt verdeutlichen, weil sie dich schon länger kennen als die kommentierende Person. Wenn sie richtig liegen, kannst du ihre Antwort mit einem Like oder einer kurzen Bestätigung markieren. Kritik und Fragen, die häufig vorkommen, kannst du in einem FAQ auf deiner Website zusammenfassen. Vielleicht hast du zum jeweiligen Thema ja auch schon einen ausführlichen Blogartikel geschrieben, in dem du den Punkt aufgreifst, den die Person anspricht. Dann verweist du einfach auf den entsprechenden Link.
Und noch ein Tipp: Wenn du mal eine richtig gute, ausführliche Antwort geschrieben hast, speichere sie dir ab! Dann kannst du sie für Kommentare zum selben Thema einfach kopieren und ggf. noch leicht anpassen.
4. Entschuldigen
Okay, das ist wahrscheinlich der schwierigste Teil. Eine aufrichtige Entschuldigung ist angebracht, wenn du in der Diskussion feststellst, dass dein Gegenüber im Recht ist und du unrecht hattest. Ich glaube, es fällt niemandem leicht, einen Fehler einzugestehen – vor sich selbst und erst recht vor einer anderen Person, die sich in deiner Vorstellung dann selbstgefällig zurücklehnt und „Tja!“ sagt. Brrr.
Jede*r von uns möchte ja alles richtig machen, wir wollen nur das Beste und doch kann es manchmal daneben gehen. Ich meine, wer weiß schon immer, was richtig und das Beste ist?! Ich ganz sicher nicht. Du? Ich hatte schon ein paar große Entschuldigungsmomente, aber vor einigen drücke ich mich auch nach Jahren noch. Es ist also nicht leicht. Aber einer unbekannten Person im Internet gegenüber finde ich es etwas einfacher. Dort kann eine Entschuldigung auch ganz sachlich ablaufen. Schließlich interessiert es niemanden, wie sehr du in deinen Schuldgefühlen badest oder dass es dich emotional verletzt, einmal unrecht zu haben…
Nichtsdestotrotz ist es wichtig, Fehler einzugestehen – denn so nimmst du den Stürmer*innen den Wind aus den Segeln. Halte es ganz einfach: „Du hast recht damit, dass … Ich habe das nicht gewusst/hätte es besser erklären sollen/wollte eigentlich auf etwas ganz anderes hinaus. Aber ich verstehe deinen Standpunkt und entschuldige mich dafür, dass ich …“
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5. Merken und besser machen
Puh! Alle diese Punkte durchzuarbeiten, kann ganz schön viel Zeit und Energie in Anspruch nehmen: dich an deine Kommunikationsregeln erinnern, entscheiden, auf welche Kommentare du antworten möchtest, deine Reaktion angemessen gestalten und dich gegebenenfalls für Fehltritte entschuldigen. Aber mit der wertschätzenden Kommunikation ist es wie mit einem Muskel, den du trainieren kannst. Ich übe das auch jeden Tag von Neuem, weil mich manche Kommentare wütend oder traurig machen oder ich augenrollend seufze, weil es immer wieder der gleiche Mist ist.
Das ist ja auch in Ordnung und diese Gefühle haben ihre Berechtigung. Sie dürfen nur nicht dazu führen, dass ich andere Menschen verletze, Follower*innen verliere oder die Reputation meines Unternehmens oder meinen Job aufs Spiel setze. Nicht, dass das immer sofort passieren würde, wenn man sich mal danebenbenimmt. Aber wir wollen die Kontrolle darüber behalten, oder?
Also liefere dich deiner Wut auf negative Kommentare nicht aus, lass dich nicht mitreißen von unsachlichen Machtkämpfen im Internet. Bleib dir selbst treu! Behalte deine wertschätzende Grundhaltung bei! Und du wirst sehen, es lohnt sich. Denn was am Ende zählt, ist doch, dass du dir im Spiegel selbst noch in die Augen gucken kannst – nicht, was andere über dich sagen.
Gibt es wirklich eine Garantie gegen Shitstorms?
Ich habe diesen Artikel nicht „Anti-Shitstorm-Garantie“ genannt, um dich in die Irre zu führen, denn ich glaube wirklich, dass dir meine Tipps helfen können, Shitstorms zu vermeiden oder mit ihnen umzugehen. Aber natürlich gibt es keine wirkliche Garantie gegen Hater*innen – und schon gar nicht gegen Kritiker*innen, die du sowieso nicht von dir fernhalten kannst oder solltest. Kritik und Fehler braucht es schließlich, um sich weiterzuentwickeln statt stillzustehen.
Ich wünschte, es gäbe ein Geheimrezept gegen Hass im Netz. Aber so weit bin ich noch nicht. Alles, was du tun kannst, ist, dein Bestes zu geben. Das, und immer mal wieder zu hinterfragen, ob es wirklich das Beste ist. Damit tust du genug! Und wenn du einen Fehler machst – ab zu Schritt 4.
Jetzt erzähl mal: Wie gehst du mit kritischen Kommentaren um? Kannst du noch weitere Tipps ergänzen? Dann schreib mir einen Kommentar oder teile diesen Artikel mit deiner Antwort!