In meinen „Gendern leicht gemacht“-Workshops übe ich mit den Teilnehmenden, wie sie zugleich geschlechtergerecht, professionell und verständlich schreiben können. Die größte Hürde für Texter*innen, Lektor*innen , Übersetzer*innen und Autor*innen ist oft die Frage: Wie gehe ich damit um, wenn durch das Gendern komplizierte Formulierungen entstehen? Das passiert vor allem bei langen, komplexen Sätzen oder Texten, in denen viele Personenbezeichnungen und feststehende Begriffe vorkommen.
Zum Glück sind sich die Teilnehmenden am Ende eines Workshops meist einig: Es geht auch einfacher! Denn ich gebe ihnen sieben Strategien an die Hand, mit der sich die Lesbarkeit beim Gendern verbessern lässt. Heute möchte ich sie auch mit dir teilen. Falls du einige schon kennst, andere dich besonders interessieren, kannst du dich hier direkt zum passenden Punkt klicken:
- Umformulieren
- Synonyme und neutrale Formulierungen
- Direkte Ansprache
- Prinzip der Rollenverteilung
- Passivformulierungen
- Plural statt Singular
- Verben statt Personenbezeichnungen
Das wissen wir über Gendern und Verständlichkeit
Zur Kritik am Gendern gehört fast immer der Hinweis, geschlechtergerechte Texte seien unlesbar und nur noch für die akademische Elite gut verständlich. Auch auf die mangelnde Barrierefreiheit beim Gendern wird gern verwiesen – vor allem in Hinblick auf Sprachausgabesoftware für Menschen mit Sehbehinderung. Doch was ist dran an der Kritik?
Verschiedene Studien und Experimente weisen darauf hin, dass das Gendern die Verständlichkeit von Texten nicht beeinträchtigt. Hier kannst du das nachlesen:
- Friederike Braun et al.: „Aus Gründen der Verständlichkeit…“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Psychologische Rundschau, 58 (3), 183–189, 2007. (Link zur Studie)
- Friedrich, M. C. G. & Heise, E.: Does the use of gender-fair language influence the comprehensibility of texts? An experiment using an authentic contract manipulating single role nouns and pronouns. Swiss Journal of Psychology, 78, 51-60, 2019. (Link zu Artikel über die Studie)
Dennoch wirst du vermutlich zustimmen, dass folgender Satz ziemlich schwierig lesen ist:
„In unserem Geschenkeshop kann der*die Kund*in seinem*seiner*ihrem*ihrer Partner*in ein Präsent mit Namensgravur erstellen lassen.“
… während das hier schon besser aussieht:
„In unserem Geschenkeshop können Sie Ihrem Herzensmenschen ein Präsent mit Namensgravur erstellen lassen.“
Auch stimmt es, dass viele Arten zu gendern nicht für alle Menschen zugänglich, also barrierefrei, sind. Mehr dazu liest du zum Beispiel in meinem Artikel zur Kritik am Gendern mit Doppelpunkt.
Mein Tipp an dieser Stelle: Wende Sonderzeichen wie das Gendersternchen sparsam an. Nutze sie so häufig wie nötig (um geschlechterinklusiv zu schreiben und/oder deine Haltung zu zeigen) – und gleichzeitig so selten wie möglich. Ich zeige dir, wie du das anstellst!
1. Kompliziert gegenderte Sätze umformulieren
Sätze, die gegendert schwer zu lesen sind, waren oft schon vorher zu komplex. Vermeide grundsätzlich lange, stark verschachtelte Sätze mit vielen Nebensätzen. Oft lässt sich so ein Wortbandwurm in mehrere kürzere Sätze unterteilen. Überlege auch, ob du das, was du sagen möchtest, vielleicht einfacher und mit weniger Worten ausdrücken kannst. Ein Beispiel:
- Statt: Patientinnen und Patienten vereinbaren Arzttermine bei dem jeweiligen Arzt oder der jeweiligen Ärztin bitte telefonisch mit einem oder einer unserer Rezeptionisten und Rezeptionistinnen.
- Lieber: Termine in unserer Praxis vereinbaren Sie bitte telefonisch unter 030 123456789.
Die Patient*innen, die sich auf der Praxiswebsite umschauen, wissen in der Regel schon, dass dort Ärzt*innen arbeiten, deshalb sind sie ja da. Wer genau ihren Anruf annimmt, interessiert sie vermutlich ebenso wenig. Sie wollen einfach nur wissen, was sie tun müssen, um einen Termin zu bekommen.
2. Synonyme und neutrale Formulierungen statt Gendern
Kommt dir eine gegenderte Personenbezeichnung zu kompliziert vor, kannst du versuchen, ein anderes Wort zu verwenden – zum Beispiel eine neutrale Formulierung. Fällt dir von allein nichts ein, hilft ein Blick ins Synonymwörterbuch oder das Genderwörterbuch.
Achte jedoch darauf, dass deine Wortalternativen konkret genug bleiben, zum Kontext passen und den Sinn deines Textes nicht verfälschen. Während du „Student*innen“ problemlos mit „Studierenden“ ersetzen kannst, ist „Pilot*in“ vermutlich eine bessere Wahl als „flugzeugführende Person“. Bei rechtlich feststehenden Begriffen musst du besonders vorsichtig sein: Nicht immer dürfen sie geändert oder gegendert werden. Frage im Zweifelsfall lieber bei eurer Rechtsabteilung nach.
3. Direkte Ansprache mit „Du“ oder „Sie“
Wie in den Beispielen mit dem Geschenkeshop und der ärztlichen Praxis kannst du deine Zielgruppe direkt ansprechen, statt extra eine Personenbezeichnung zu verwenden. Je nach Briefing oder Corporate Language verwendest du einfach „du“ oder „Sie“ statt „Kund*innen können dies und jenes bei uns kaufen“. Natürlich ist die direkte Ansprache manchmal nicht erlaubt oder passt nicht zur Textart. Dann musst du dich mit den übrigen Strategien begnügen. Doch wenn du „Du“ und „Sie“ verwenden darfst, wirst du eine ganze Menge lästiger Personenbezeichnungen los und sparst dir entsprechend viele Sonderzeichen.
4. Mit dem Prinzip der Rollenverteilung gendern
Kennst du schon das Prinzip der Rollenverteilung? Zugegeben: Unter den Workshop-Teilnehmenden gibt es immer die einen, die es lieben und die anderen, die es hassen. Aber wenn du dich damit anfreunden kannst, mal die männliche, mal die weibliche, mal eine Form mit Sonderzeichen zu verwenden, wird auch das dir den Umgang mit komplizierten Formulierungen erleichtern. Persönlich setze ich das Prinzip der Rollenverteilung sehr sparsam ein:
- um Aufzählungen von zu vielen Sonderzeichen zu befreien
- beim Gendern in SEO-Texten, wenn das Keyword eine männliche Personenbezeichnung ist
- um statt des „geneigten Lesers“ mal die „geneigte Leserin“ anzusprechen
Das könnte zum Beispiel so aussehen:
„Wer Nachhilfelehrer*in werden will, hat die besten Voraussetzungen dafür als Lehramtstudentin, aktiver oder pensionierter Lehrer, Sozialarbeiterin oder Erzieher, Dozentin oder Expert*in für bestimmte Schulfächer.“
Wahrscheinlich wirst du anhand des Beispiels schon einschätzen können, ob du mit dieser Strategie gut klarkommst. So ist es jedenfalls meistens in den Workshops.
Gendern lernen im Online-Workshop
Du möchtest deine Texte geschlechtergerecht und lesbar gestalten können? Dir fehlt es noch an Sicherheit beim Gendern? Und du hast Lust auf Austausch mit anderen beruflich Schreibenden? Dann melde dich jetzt an für Gendern leicht gemacht – den Online-Workshop im Kurz- oder Tagesformat.
Termine 2022: 10. & 12. Mai & 11. & 13. Oktober
5. Plural- statt Singularformulierungen
Gerade bei Singularformulierungen kann das Gendern die Lesbarkeit beeinträchtigen. Denn zur Personenbezeichnung selbst kommen dann noch Artikel und Pronomen, die gendergerecht gestaltet werden wollen. Wann immer es möglich ist, weiche ich auf Pluralformen aus. Lässt sich eine Singularformulierung nicht vermeiden, versuche ich, neutrale Alternativen oder ein Synonym zu finden. So kommt es relativ selten vor, dass ich doch mal von „dem*der Leser*in“ schreibe. Auch hier ist es wieder wichtig, den Kontext und die Genauigkeit der Aussage zu beachten. Inhalt vor Form!
6. Sparsam Passivformulierungen verwenden
Als beruflich Schreibende*r hast du gelernt, aktiv zu schreiben und das Passiv zu vermeiden. Aber nicht um jeden Preis! Wenn dein Satz mit gegenderter Personenbezeichnung zu schwer lesbar ist, darf es auch mal eine Passivformulierung sein.
- Statt: Der*die Mitarbeiter*in am Empfang wird Sie nach Ihrer Chipkarte fragen.
- Lieber: Am Empfang werden Sie nach Ihrer Chipkarte gefragt.
Natürlich gilt nach wie vor, dass du Passivformulierungen nur sehr sparsam einsetzen solltest. Wenn sie die Lesbarkeit deines Textes erhöhen, sind sie jedoch erlaubt.
7. Beschreibende Verben statt Personenbezeichnungen
„Beschreibe, was passiert, nicht, wer es tut“ – so ähnlich formulierte eine Teilnehmerin meines Workshops diese Strategie einmal. Vielleicht kennst du auch den Schreibtipp: „Show, don’t tell“. Wenn du deinen Text anschaust und nur noch Sternchen siehst, kann das ein Zeichen dafür sein, dass du generell zu viele Personenbezeichnungen benutzt. Häufige Nominalisierungen, also substantivierte Verben oder Adjektive, sind ein weiteres Indiz für einen nicht ganz so leichtverständlichen, eher bürokratischen Schreibstil.
Lebendiger und verständlicher wirken deine Texte, wenn du auf Verben setzt. Beschreibe Tätigkeiten, statt sie mit einer Personenbezeichnung zusammenzufassen:
- Statt: Hobbygärtner*innen freuen sich über unseren neuen Biodünger.
- Lieber: Wer sonntags gern die Rosen im heimischen Garten pflegt, wird sich über unseren neuen Biodünger freuen.
- Oder: Sie lieben es zu gärtnern? Dann werden Sie sich über unseren neuen Biodünger freuen!
- Oder: Du liebst es, sonntags in deinem Garten zu buddeln und erfreust dich an bunter Blumenpracht? Dann lass dein Hobby jetzt noch schöner blühen – mit unserem neuen Biodünger!
Du merkst schon an diesem spontanen Entwurf: Hier kommt es wie immer auf den Kontext und gewünschten Schreibstil an. Es gibt viele, viele Möglichkeiten, komplizierte Sätze umzuformulieren. Sei kreativ und probiere Verschiedenes aus! Du wirst sehen, dass sich die Qualität deiner Texte auch ganz unabhängig von Gendern und Lesbarkeit verbessern wird. Mir persönlich macht genau dieses Um-die-Ecke-Denken und Kreativsein am Gendern den meisten Spaß!
Lesbar gendern: Beispielsätze zum Üben
Damit du die sieben Strategien für bessere Lesbarkeit beim Gendern gleich ausprobieren kannst, habe ich zum Schluss noch einige komplizierte Beispielsätze für dich. Schnapp dir ein Blatt Papier oder deine Notiz-App und schreibe verschiedene Versionen auf. Das muss nicht gleich perfekt sein – ist ja nur ein Brainstorming. Schreib einfach drauf los und schau, was passiert:
- Die Lehrer und Lehrerinnen bereiten den Unterricht für die Schülerinnen und Schüler vor.
- JedeR TeilnehmerIn bekommt eineN eigeneN MentorIn.
- Bei uns finden Sie Spezialist/innen aus verschiedenen Fachbereichen: Rechtsanwält/innen, Notar/innen, Steuerberater/innen und Wirtschaftsprüfer/innen.
- Wie mache ich aus einem*r Interessent*in eine*n Kund*in?
- Hat der:die Besucher:in das Merkzeichen B in seinem:ihrem Schwerbehindertenausweis, kann er:sie seine:ihre Begleiter:in kostenlos zur Veranstaltung mitbringen.
- Unsere Anwendung ist nutzer_innenfreundlich aufgebaut, sodass Sie sie leicht bedienen können. Sollten Sie doch einmal nicht weiterkommen, wenden Sie sich vertrauensvoll an unseren Kund_innenservice, um die Hilfe unserer Mitarbeiter_innen in Anspruch zu nehmen.
- Der*die Apotheker*in bestellt das von dem*der Ärzt*in verordnete Medikament für den*die Patient*in, falls es nicht auf Lager ist.
Du willst noch weiterüben und würdest dich dabei gern mit Gleichgesinnten austauschen? Dann komm doch zu einem meiner Workshops! Gendern leicht gemacht gibt es als offenen Workshop in zwei Formaten oder auch als Inhouse-Seminar für dein Team.