Mit der geschlechtergerechten Sprache ist es so eine Sache: Die einen feiern, andere verachten sie. Viele Menschen wollen bewusst Vielfalt wertschätzen, haben aber Vorbehalte und Annahmen zum Thema Gendern, die sie zurückschrecken lassen. Zusammen mit Silvana von Schmidt Lektorate habe ich mir einige Annahmen und Vorurteile über das Gendern einmal genauer angesehen. Wir haben sie zuerst für Instagram humorvoll aufbereitet und erklären sie dir hier ganz ausführlich.
Silvana hat Gender Studies studiert und kennt sich daher gut mit den theoretischen Hintergründen geschlechtergerechter Sprache aus. Als Freiberuflerin lektoriert sie vor allem Bücher, aber auch wissenschaftliche Arbeiten. Ihr Know-how ist die perfekte Ergänzung zu meinen praktischen Erfahrungen in der Arbeit mit meinen Kund*innen an ihren Texten!
1. Gendern macht die deutsche Sprache kaputt
SILVANA: Sprache verändert sich immer wieder und ist deshalb ganz stark abhängig davon, wie eine Gesellschaft (also die Menschen, die in ihrer Kommunikation Sprache verwenden) sich entwickelt. Das betrifft nicht nur Diskussionen rund um die gendersensible Sprache, sondern auch Dialekte, Akzente, bestimmte Redewendungen oder Begriffe. Weil etwas anders ist, ist es aber nicht unbedingt kaputt. So wie wir heute „junge Frau“ statt „holde Maid“ sagen, achten wir auch zunehmend auf Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache. Wer weiß: vielleicht wird es den Generationen nach uns einmal total absurd vorkommen, dass wir jemals nicht gegendert haben.
2. Es gibt nur zwei Geschlechter
LUCIA: Mag ja sein, dass du bisher noch keine nichtbinäre Person getroffen hast. Das heißt aber noch lange nicht, dass es sie deshalb auch nicht gibt. Die Argumentation ist ja auch irgendwie unschlüssig. Schließlich würde es die dritte Geschlechtsoption „divers“ nicht geben, wenn sie niemand gefordert hätte. Nichtbinär sind Menschen, die ein Geschlecht außerhalb des binären Systems von Mann und Frau haben. Sie können zum Beispiel kein Geschlecht, ein Zwischengeschlecht oder auch ein wechselndes Geschlecht haben. Egal, was du davon hältst: Es ist eine Form von Respekt und Wertschätzung, die Selbstbezeichnung einer Person zu akzeptieren und sie entsprechend anzusprechen. Und deshalb ist geschlechtergerechte Sprache wichtig – für alle.
3. Das generische Maskulinum meint doch alle Geschlechter mit
SILVANA: Bestimmt sind dir auch schon Fußnoten aufgefallen, in denen es heißt: „Frauen sind selbstverständlich mitgemeint!“ Auch in Diskussionen zur gendersensiblen Sprache fällt dieses Argument häufig. Dahinter stecken sicherlich keine bösen Absichten; tatsächlich wird ja in vollkommen unterschiedlichen Situationen auf das generische Maskulinum zurückgegriffen – damit werden aber ganze Gruppen beschrieben, die sich aus Personen mit unterschiedlichen Geschlechtern zusammensetzen. Wo es das Wort „Student“ gibt, gibt es allerdings auch das Wort „Studentin“. Deshalb lässt sich berechtigterweise fragen, warum wir in unseren Texten Menschen mitmeinen sollten, statt einfach zu sagen, was wir wirklich meinen. Denn genau dafür ist Sprache ja da!
Übrigens: Inzwischen ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass wir das generische Maskulinum – anders als häufig angenommen – überhaupt nicht neutral lesen. Das ergab schon 2008 eine Studie von Forscher*innen aus Norwegen, Großbritannien und der Schweiz.
4. Gendern widerspricht der amtlichen Rechtschreibung
LUCIA: Stimmt! Bisher sind Formen geschlechtergerechter Sprache wie Binnen-I oder Sternchen nach amtlicher Rechtschreibung nicht korrekt. Diese ist jedoch nur für Ämter und Behörden, manche Bildungseinrichtungen und die Justiz verpflichtend. In der Alltagssprache sind viele Arten zu gendern längst zur Gewohnheit geworden. Solange deine Zielgruppe weiß, was gemeint ist, oder du es erklärst, kannst du deine Texte also trotz Rechtschreibregeln gendern. Außerdem: Sprache verändert sich – und somit auch ihr Regelwerk. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass das Gendersternchen eines Tages auch als Grammatikregel im Duden zu finden sein wird.
5. Wer gendert, schreit nur nach Aufmerksamkeit
SILVANA: An diesem Vorurteil ist was dran. Wer gendersensible Sprache für wichtig hält, möchte tatsächlich die Aufmerksamkeit auf etwas lenken. Allerdings nicht unbedingt auf die eigene Person, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass es in dieser Welt nicht nur Männer gibt und das generische Maskulinum andere Geschlechter ausschließt. Um diese Ausschlüsse möglichst gering zu halten, setzen sich Feminist*innen für eine inklusivere und gendersensible Sprache ein.
6. Meine Kund*innen wollen das eh nicht
LUCIA: Stimmt, nicht alle Kund*innen wollen, dass ihre Texte gegendert sind. Manche legen jedoch großen Wert darauf. Ob du in einem Text geschlechtergerechte Sprache verwendet solltest, hängt aber immer auch von der Endzielgruppe ab. Ältere und konservative Zielgruppen sind mit den meisten Arten zu gendern nicht so vertraut oder stehen ihnen skeptisch gegenüber. Da kannst du aber zumindest auf die Paarform zurückgreifen, also „Kundinnen und Kunden“. Dasselbe gilt für Nichterstsprachler*innen und in barrierefreien Texten. Jüngeren Menschen und vor allem LGBTIQ+-Zielgruppen kannst du aber durchaus zutrauen, auch mit dem Gendersternchen oder ähnlichem zurechtzukommen.
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7. Gendern stört den Lesefluss und bauscht Texte unnötig auf
SILVANA: Zunächst einmal: Ja! Es kann etwas umständlicher klingen, wenn plötzlich von „Schüler*innen“ statt von den „Schülern“ die Rede ist – zumal das Gendern ja nicht nur eine Stelle im Text betrifft. Die Frage ist nur: Ist dieser Punkt wirklich wichtiger als die Einbeziehung möglichst aller Geschlechter in die Sprache?
Gendersensible Sprache ist nicht zuletzt auch eine Gewohnheitssache. Wer zuvor überwiegend Texte im generischen Maskulinum gelesen hat, wird ein Gendersternchen oder die Lösung mit Doppelpunkt vielleicht erstmal kompliziert finden. Nach einer gewissen Zeit gewöhnt man sich aber gut daran, sodass es zunehmend in Fleisch und Blut übergeht.
8. Gendern ist nicht barrierefrei
LUCIA: Dieses Vorurteil stimmt tatsächlich: Die meisten Arten zu gendern sind nicht barrierefrei. Dazu zählen Binnen-I, Schrägstrich und alle Formen mit Sonderzeichen. Sie werden zum Beispiel in Einfacher und Leichter Sprache nicht verwendet, weil sie schwer verständlich sind. Für Menschen, die online einen Screenreader, also eine Sprachausgabe nutzen, weil sie nicht gut sehen können, kannst du auch den Gender-Gap verwenden. Wähle dabei jedoch ein Sonderzeichen, das nicht mit vorgelesen wird – zum Beispiel den Doppelpunkt. Allerdings ist auch diese Variante nicht unbedingt ideal. Mehr dazu erfährst du in meinem Artikel über barrierefreies Gendern.
9. Gendern diskriminiert Männer
SILVANA: Frauen, intergeschlechtliche Menschen und nichtbinäre Personen werden durch das generische Maskulinum diskriminiert, nicht andersherum. Gendersensible Sprache ist gerade darauf bedacht, möglichst viele Geschlechter mitzudenken und einzubeziehen. Bei der Paarform bleibt die männliche Form unangetastet und wird lediglich um ein Wort ergänzt. Bei Lösungen wie dem Gendersternchen oder dem Binnen-I wird oft so in die Grammatik eingegriffen, dass die männliche Form nur teilweise im Wort steckt: Das ist so etwas wie ein Kompromiss, um für alle Beschriebenen eine akzeptable Lösung zu finden. Wer mit diesem Kompromiss nicht so zufrieden ist, könnte zum Beispiel versuchen, möglichst häufig genderneutrale Begriffe zu verwenden: „Studenten“ wird zu „Studierende“.
Fazit: Trotz Vorurteilen ist Gendern wichtig
Du siehst: Viele vermeintliche Vorurteile übers Gendern sind durchaus berechtigt. Andere lassen sich als Mythen aufklären. Und in den meisten Fällen ist die Antwort gar nicht so klar: Spricht dieses Argument jetzt für oder gegen das Gendern? Wie ich immer wieder betone: Die einzig richtige Variante zu gendern gibt es im deutschen Sprachraum noch nicht. Aber du hast immer die Möglichkeit, mehr als nur Männer anzusprechen. Schließlich hat über die Hälfte der Bevölkerung ein anderes Geschlecht!
Kommentiere doch mal: Welche dieser Annahmen über das Gendern sind dir schon begegnet? Welche kennst du noch? Ich freue mich wie immer über einen wertschätzenden Austausch.