Während meine Workshops zum Gendern mich und die Teilnehmenden meist sehr zufriedenstellen und wir für verschiedenste Probleme konkrete, praktische Lösungen finden – ist „Vielfalt wertschätzend kommunizieren“ oft frustrierend. Das hat verschiedene Gründe, auf die ich in diesem Artikel eingehen möchte. Meine Beobachtungen speisen sich aus Workshops, Aussagen von Teilnehmenden, Feedback und Gesprächen sowie dem regelmäßigen Blick auf Medien- und Social-Media-Diskurse zu diskriminierungssensibler Sprache und allem, was dazu gehört.
1. Diversitätssensible Kommunikation ist breitgefächert und unkonkret
Gendergerechte Sprache ist vergleichsweise einfach anzuwenden. Es gibt zwar keine festen Regeln, doch jede Art zu gendern folgt einer durchdachten Anwendungsstrategie, die leicht zu erlernen ist. Geschlechtergerechtes Schreiben ist Gewohnheitssache.
Geht es wirklich nur darum, Personenbezeichnungen mit Sternchen zu versehen, zu neutralisieren oder Ähnliches, ist es an sich nicht notwendig, sich mit den Hintergründen oder der eigenen Haltung auseinanderzusetzen. Natürlich enthalten meine Workshops auch Sensibilisierung für Genderstereotype und in Sprache eingeschriebene Klischees oder Vorannahmen. Die meisten Teilnehmenden können sich in die Dimension Gender gut einfühlen, da sie alle selbst Berührungspunkte mit entsprechenden Rollenbildern und Erwartungen haben.
Zum Gendern hat nicht zuletzt durch die große mediale Aufmerksamkeit irgendwie jede*r eine Meinung:
- Die meisten kennen die wichtigsten Argumente für eine gendergerechte Sprache.
- Immer mehr Unternehmen und Organisationen führen das Gendern als Teil ihrer Corporate Language ein, sodass Beschäftigte sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen.
- Manche Menschen haben eine klare Meinung dazu, dass und wie gegendert werden sollte.
- Andere sind besorgt, dass ihnen gegen ihren Willen eine Art zu sprechen und zu schreiben aufgezwungen oder ihnen der Mund verboten wird.
- Verbote des Genderns erzeugen wahlweise Empörung, Verunsicherung oder Zustimmung.
- Viele Menschen haben zu der Frage, wie sie persönlich angesprochen werden wollen, eine Meinung, ob sie gendergerechte Sprache für sich wichtig oder unwichtig finden.
Was läuft bei „Vielfalt wertschätzend kommunizieren“ anders?
Jetzt ging es erst mal viel ums Gendern. Das ist auch bei den Workshops häufig so. Die Dimension Geschlecht ist für viele der erste Zugang zum Diversity-Konzept. Sexismus, Rassismus, LGBTIQ+, vielleicht Barrierefreiheit – das kriegen die meisten noch zusammen. Geht es aber um alle sieben Kerndimensionen, weitere äußere Dimensionen und die eigentlich unendliche Vielfalt von, ja, Vielfalt, ist meistens schon das eine oder andere Seufzen zu hören: „Oh Gott, was denn noch alles?“ – „Wie soll ich mir denn das alles merken?“ – „Was darf ich überhaupt noch sagen?“ – „Die Leute werden auch immer empfindlicher…“ – „Irgendwo muss man auch mal eine Grenze ziehen!“
Wir werden niemals als eine Person alle Aspekte von Diversity erfassen können. Wir werden auch niemals über alle marginalisierten Gruppen oder möglicherweise diskriminierenden Aussagen Bescheid wissen. Und das ist in Ordnung! Damit müssen wir alle leben. Wir können und müssen nicht alles „richtig“ machen – was auch immer das heißt, schließlich gibt es in den wenigsten Fällen ein einziges Richtig und ein einziges Falsch. Vielfalt wertschätzende Kommunikation ist für mich eher eine Grundhaltung, die offen, sensibel, zugewandt und auch neugierig ist! Die richtigen Worte finden sich damit schon fast von selbst.
Das ist zugegebenermaßen eine ziemlich allgemeine, verschwommene und nicht sehr konkrete Aussage. Was mich direkt zum nächsten Punkt führt. Doch die Vielfalt der Vielfalt ist nun einmal eine Realität, die sich nicht in gleichmäßige Kuchenstücke oder sorgfältig beschriftete Akten und Schubladen sortieren lässt. Modelle von Diversity dienen der Orientierung, Vereinfachung, Veranschaulichung und Schwerpunktsetzung – sie sind jedoch niemals vollständig oder feststehend.
2. Falsche Erwartungen an den Workshop
Wenn ich zu Beginn eines Workshops zum Gendern nach den Erwartungen der Teilnehmenden frage, bin ich die ganze Zeit am Nicken und weiß nach der Runde: Ich werde die meisten Erwartungen erfüllen können! Bei „Vielfalt wertschätzend kommunizieren“ bin ich dagegen nur am Schlucken, weil ich weiß: Ich könnte diese Erwartungen auch dann nicht erfüllen, wenn der Workshop doppelt oder dreimal so lang wäre.
Viele Menschen wünschen sich eine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Kann ich gut nachvollziehen! Persönlich hätte ich auch lieber eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für manche Dinge im Leben, statt mich selbst damit auseinandersetzen zu müssen – auf einem steinigen, unbequemen, kurvigen Weg, von dem ich nicht mal genau weiß, wohin er mich führen will!
Ein vierstündiger Workshop beginnt also und typische Erwartungen sind:
- Ich möchte nach dem Workshop in allen Situationen korrekt Vielfalt wertschätzend kommunizieren können.
- Ich erwarte, dass ich nach dem Workshop genau weiß, was ich wann zu wem sagen darf und was nicht.
- Ich wünsche mir eine Vorlage für die Kommunikation im Alltag und jede Situation, in der es zu Diskriminierung kommen könnte.
- Ich hoffe, wir bekommen heute auch eine Liste mit allen Wörtern und Formulierungen, die diskriminierend wirken können, und besseren Alternativen dazu.
- Ich bin hier, um zu lernen, wie ich alles richtig mache und jegliche Konflikte in Bezug auf Diskriminierung und Diversity vermeide.
- Ich hoffe, dass ich nach dem Workshop nirgendwo mehr anecke und niemanden verletze.
Dann kommt mein immer etwas unangenehmer Part, meine Teilnehmer*innen zu enttäuschen: „Leider werde ich euch diese Wünsche nicht erfüllen können. Ich denke aber, was wir heute machen, wird euch dennoch weiterbringen! Und es wird Spaß machen. Vielleicht mehr Spaß, als wenn wir jetzt irgendwelche Regeln und Wortlisten auswendig lernen würden.“
Warum keine Regeln für Vielfalt wertschätzende Kommunikation?
Es wäre so schön einfach, ein Heft mit Vokabellisten durchzuackern und dann mit dem Erlernen diversitätssensibler Kommunikation fertig zu sein, oder? Doch wenn wir allein unsere Sprache ändern und nicht auch die Haltung, dann passiert oft gar kein gesellschaftlicher Wandel oder steigt die Akzeptanz vielfältiger Lebensweisen; jedenfalls nicht in dem Ausmaß, das möglich wäre.
Es geht wie beim Gendern auch bei Vielfalt wertschätzender Kommunikation nicht (nur) darum, „angemessene“ Worte zu verwenden und „unangemessene“ zu vermeiden. Dahinter steckt viel mehr! Mehr, das wir uns selbst vorenthalten, wenn die einzige Motivation, diskriminierungsfrei zu sprechen, die Angst ist, etwas Falsches zu sagen oder irgendwo anzuecken. Die Angst darf sein und ist auch nicht ganz unberechtigt. Und gleichzeitig entfaltet sich das Potenzial Vielfalt wertschätzender Sprache so richtig erst, wenn ich mich neugierig und wohlwollend damit auseinandersetze.
Die Frage sollte nicht sein: Wie schaff ich’s, dass ich bloß nichts falsch mache und niemanden diskriminiere? Fragen wir uns: Was könnten wir durch Vielfalt wertschätzende Kommunikation erreichen? Wen vor allem und wie viele Menschen mehr, mit denen es sich lohnt, in Verbindung zu sein? Wie großartig muss das Gefühl sein, sich dank Repräsentation endlich gesehen zu fühlen, wo man vorher ausgeschlossen war? Wie könnte die Welt aussehen, wenn wir alle wertschätzender und wohlwollender miteinander umgingen?
Was in meinen Workshops passiert, ist eben viel mehr: Informieren – Sensibilisieren – Angst nehmen – Diskutieren – Ausprobieren. Das ist nicht unbedingt, was die Teilnehmenden erwarten, schafft aber häufig Erleichterung und einen neuen Blickwinkel.
3. Zu wenig Zeit und zu große Gruppen
Ich verstehe gut, dass Teilnehmende mehr erwarten und über Vielfalt wertschätzende Kommunikation lernen wollen, als es in der kurzen Zeit möglich ist, die wir meistens miteinander haben. Zeit für einen Impulsvortrag oder halben Tag, selten mal einen ganzen Tag stellen Unternehmen und Veranstalter*innen meistens für dieses Thema zur Verfügung. Zu offenen Formaten, die länger als zwei Stunden gehen, meldet sich kaum jemand an. In dieser kurzen Zeit ist es kaum möglich, verschiedene Diversity-Dimensionen einzeln anzuschauen. Es bleibt bei einem allgemeinen, oberflächlichen Überblick mit ein bisschen Sensibilisierung, ein paar Hintergründen und einem kleinen Praxisteil zum Ausprobieren.
Viele Diskussionen, die sich im Verlauf des Workshops entspinnen, muss ich aus Zeitgründen unterbrechen. Entscheide ich, einem Gespräch mehr Raum zu geben, fallen andere wichtige Teile des Programms aus – und ich erfülle noch weniger die Erwartungen der Teilnehmenden.
Budget und zeitliche Ressourcen sind leider oft zu knapp für mehrtätige oder regelmäßig stattfindende Formate, in denen verschiedene Schwerpunkte gesetzt oder einzelne Aspekte und Dimensionen detaillierter besprochen werden könnten. Hinzu kommt noch, dass am liebsten zig Teilnehmende in einem einzigen Durchgang trainiert werden sollen. Das erschwert es, Gruppendiskussionen den nötigen Raum zu geben. Bei „Vielfalt wertschätzend kommunizieren“ besteht dafür besonders viel Bedarf, sodass sich Gruppen mit maximal acht Personen als passender erwiesen hat. Die Initiator*innen können meist selbst nichts dafür und entschuldigen sich eher noch. Es ist frustrierend für alle Beteiligten.
Und dennoch kann auch ein kurzer Workshop wertvolle Impulse geben! Sie sind eben ein Anstoß, der im Nachgang Eigeninitiative erfordert, sich weiter und tiefergehend mit den angesprochenen Themen auseinanderzusetzen. Wer sich ein Diversity-Modell anschaut, sieht sicher schnell eine Dimension, mit der sie*er sich noch kaum auskennt und über die es sich vielleicht eigenständig zu informieren lohnt. Und egal, was du erlebst: Es wird sich dadurch immer irgendetwas ändern.
Selbstbestimmt zu Vielfalt wertschätzender Kommunikation
Zum Schluss möchte ich noch einen Anstoß geben, der bei Frust und innerem Widerstand gegen diversitätssensible Sprache helfen kann: Ich hatte erwähnt, dass stures Auswendiglernen „ungünstiger“ Formulierungen und Ersetzen durch „bessere“ Alternativen nicht Teil meiner Workshops sind. Wohl aber wichtig finde ich es, sich mit diskriminierenden Hintergründen von Worten, Begriffen, Personenbezeichnungen, Redewendungen, Aussagen und Formulierungen zu beschäftigen. Es ist so notwendig, zu wissen, warum sich Menschen dafür einsetzen, dass bestimmte Begriffe nicht mehr genutzt werden. Sonst fühlt sich das wirklich nach Bevormundung an.
Hör die heimliche Botschaft und gleiche sie mit deinen Werten ab!
Du kannst dich drüber beschweren, was du alles angeblich nicht mehr sagen darfst.
Du kannst dich in der Angst verstecken, etwas Falsches zu sagen, und schweigen.
Oder du nimmst die Sache selbst in die Hand! Du hörst, dass du dieses eine Wort nicht mehr sagen sollst, und verstehst nicht, warum? Dann schlag es nach. Informiere dich. Und überleg dir, welche „heimliche Botschaft“ sich hinter dem vermeintlich harmlosen Wort möglicherweise verborgen hat? Ist es abwertend gegenüber einer bestimmten Personengruppe? Oder macht es sie lächerlich? Werden vielleicht Stereotype und Klischees wiederholt und verfestigt? Kann das Wort als Beleidigung aufgefasst werden? Oder hat es einen kritischen historischen Hintergrund?
Wenn du die heimliche Botschaft gefunden hast, kannst du für dich überprüfen: Entspricht es meinen Werten, dieses Wort weiterhin zu verwenden? Nein? Dann nutze ab jetzt eine der vielfältigen Alternativen, die sicher auch für dieses Wort verfügbar ist. Es entspricht deinen Werten und fühlt sich für dich gut an, das Wort weiterhin zu nutzen? Gut, dann mach das! Es ist dein Recht, alles zu sagen, auch wenn es vielleicht den Werten deiner Mitmenschen nicht entspricht. Nur mit den Konsequenzen musst du leben, bei beiden Möglichkeiten: Du wirst es niemals allen Menschen recht machen können.
Übernimm Verantwortung für deine Kommunikation!
Bitte entscheide dich nicht willkürlich oder aus Sturheit für die eine oder die Variante: immer diskriminierende Sprache vermeiden oder nie. Stattdessen triff eine selbstbestimmte Entscheidung. Beschäftige dich mit den Hintergründen im Einzelfall und mach dir deine Werte bewusst. Erwarte nicht von anderen, dir zu sagen, was richtig oder falsch ist. Höre dir die Stimmen von Betroffenen und Expert*innen zum Thema an. Höre auf deine innere Stimme. Und übernimm Verantwortung für deine Sprache! Nur so klappt Vielfalt wertschätzende Kommunikation aus Überzeugung.
Hast du schon mal einen Workshop zu diversitätssensibler Sprache mitgemacht? Wie waren deine Erfahrungen? Was hat dir gut gefallen? Was würdest du dir wünschen? Schreib deine Gedanken gerne in die Kommentare!