Hast du schonmal von Intersektionalität oder vielleicht von intersektionalem Feminismus gehört? Nein? Dann lies jetzt weiter! Denn die Verschränkungen verschiedener Diskriminierungsformen zu verstehen, hilft dir dabei, deine Zielgruppe inklusiv und wertschätzend anzusprechen!
Es reicht nicht, sich eine Dimension von Vielfalt herauszusuchen und nur diese in dein Unternehmen zu implementieren. Ganz oft ist das die Dimension Geschlecht, weil über diese am meisten gesprochen wird – schließlich gehört hier rund die Hälfte der Bevölkerung zur benachteiligten Gruppe.
Viele kommen auf meine Website, weil sie lernen wollen, geschlechterinklusive Sprache richtig anzuwenden. Aber es reicht nicht, deine Texte zu gendern und glauben: Ich kommuniziere jetzt Vielfalt wertschätzend. Gendergerechte Sprache ist ein Anfang, ein sehr guter sogar! Aber deine Diversity-Strategie sollte ganzheitlich sein. Deshalb möchte ich dir ein Konzept näherbringen, durch das du besser verstehen wirst, wie die verschiedenen Vielfaltsdimensionen zusammenwirken: die Theorie der Intersektionalität.
Intersektionalität: Eine Definition für den Einstieg
Intersektionalität ist ein komplexes Thema. Deshalb kann ich dir in diesem Artikel nur eine kleine Einführung geben. Aber sie wird dir mein Anliegen – wie wichtig eine ganzheitliche Diversity-Strategie ist – verständlicher machen.
Die Theorien der Intersektionalität haben ihren Ursprung schon im 19. Jahrhundert, als die Frauenbewegung in den USA Fahrt aufnahm. Damals kritisierten schwarze Frauen, dass sie im weißen Feminismus nicht berücksichtigt wurden. Zugleich spielten sie als Frauen eine untergeordnete Rolle in der antirassistischen Bewegung. Die Frauenrechtlerinnen thematisierten das Zusammenwirken von Race und Gender als eine ganz spezifische Diskriminierungsform, die weder weiße Frauen noch schwarze Männer erleben konnten. In den 1970er Jahren entwickelte sich daraus die Theorie des Black Feminism. Analog dazu wurden auch Klassenunterschiede und verschiedene sexuelle Orientierungen Thema in feministischen Diskursen.
Im deutschsprachigen Raum verlief die Entwicklung von Intersektionalitätstheorien weniger linear. Doch auch hierzulande wurde Kritik an Antisemitismus, Rassismus, Klassenunterschieden sowie Homo- und Queerphobie laut – bezogen auf das Zusammenwirken mit der Kategorie Geschlecht und miteinander.
Den Begriff Intersectionality prägte schließlich die Professorin Kimberlé W. Crenshaw 1989 in den USA. Sie erforschte, wie mehrfach marginalisierte Frauen diskriminiert werden. Dabei bediente sie sich der Metapher der Straßenkreuzung (englisch: „intersection“). Wenn sich verschiedene Merkmale bzw. Marginalisierungen in einer Person kreuzen, kann diese von einer spezifischen Form der Diskriminierung betroffen sein, die jemand mit einer anderen Kombination von Merkmalen nicht erlebt.
Was bedeutet Intersektionalität heute?
Bevor und nachdem Crenshaw die Bezeichnung Intersektionalität einführte, entwickelten sich verschiedene Theorien und Ansätze zu diesem Thema. Der Kern bleibt derselbe: sichtbar zu machen, wie verschiedene Machstrukturen zusammenwirken und welche spezifischen Diskriminierungsformen sich daraus ergeben.
Bis heute keine Einigkeit besteht darüber, welche Kategorien nun zur Intersektionalität gezählt werden können. Im Ursprung der US-amerikanischen Theorie spielte der Dreiklang aus Race, Class und Gender die wichtigste Rolle. Später gewann zudem die Kategorie Sexuality an Bedeutung. Auch die sechs Dimensionen von Diversity (Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, ethnische Herkunft & Nationalität, Religion & Weltanschauung, Behinderung) bilden heute häufig die Grundlage für intersektionale Überlegungen. Die Autor*innen Lutz und Wenning gehen sogar von 13 Kategorien aus.
Wo ist da die Grenze? Ist es überhaupt möglich, ein vollständiges Bild aller möglichen intersektionalen Verschränkungen zu zeichnen? Einerseits sind Kategorien wichtig, weil sie uns eine Orientierung bieten. Andererseits sollten wir immer flexibel und offen bleiben für Marginalisierungen, die uns bisher vielleicht noch nicht bewusst waren. Es kommt deshalb immer auf den Kontext an, in dem intersektionale Diskriminierung Thema ist.
Nun aber noch einmal zurück zur Metapher der „intersection“, der Straßenkreuzung. Diese Bild steht mittlerweile in der Kritik, implizieren die verschiedenen Straßen doch, dass die Marginalisierungen einzelne Stränge sind, die ein und dieselbe Person betreffen. Inzwischen wird eher von Überlappungen gesprochen bzw. von Interdependenz, also von einer wechselseitigen Abhängigkeit der Marginalisierungen untereinander. Unten im Bild habe ich dir einmal aufgezeichnet, wie das aussehen könnte.
Intersektionalität am Beispiel
Um es etwas weniger abstrakt zu machen, nehmen wir einmal mich als Beispiel. Als lesbische Frau erlebe ich zuweilen Situationen, die weder ein schwuler Mann noch eine heterosexuelle Frau so kennen dürfte. Zum Beispiel, wenn mir ein Mann sagt, ich sei viel zu hübsch, um mit einer Frau zusammen zu sein und dass er mich durch sexuelle Handlungen mit ihm garantiert umstimmen könnte. Das ist eine Form der sexuellen Belästigung, die Frauen, die auf Frauen stehen, vorbehalten ist. Wenn ich wegen der ganzen Sache jetzt noch dauerhaft Mental-Health-Probleme habe, werde ich zum Beispiel in der Arbeitswelt doppelt diskriminiert. Weil ich eine Frau bin und weil psychische Erkrankungen im Job noch immer stigmatisiert werden.
Obwohl wir sicherlich einige Erfahrungen teilen, unterscheiden sich meine Diskriminierungserfahrungen doch deutlich von denen, die meine lesbische Freundin mit Behinderung oder meine schwarze Nachbarin oder die alleinerziehende Reinigungskraft mit drei Kindern womöglich machen. Intersektionalität hilft also auch dabei, die eigenen Privilegien kennenzulernen und sich ihrer bewusst zu werden. Dabei geht es nicht darum, wettbewerbsmäßig herauszustellen, wer am ärmsten dran ist. Vielmehr helfen diese Überlegungen, einander zu verstehen und aufeinander zuzugehen.
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Was du von intersektionalen Theorien für dein Unternehmen lernen kannst
Die Intersektionalität zeigt dir, warum es nicht reicht, sich nur auf eine Diversity-Dimension zu fokussieren:
- weil nicht alle Menschen innerhalb einer Dimension gleich sind, sondern individuell weiteren Vielfaltsdimensionen ausgesetzt
- weil die Verschränkung der Diversity-Dimensionen eine One-Size-Fits-All-Strategie unmöglich
- weil du eine pansexuelle nichtbinäre Person mit Behinderung und Migrationshintergrund nicht nur einer Dimension explizit zuordnen kannst – was die Aufspaltung deiner Zielgruppe in einzeln ansprechbare Diversity-Untergruppen sinnlos macht.
Der letzte Punkt klingt für dich jetzt vielleicht doch sehr spezifisch. Aber genau diese Vielfalt ist Realität – auch wenn ich mich hier dem Stilmittel der Übertreibung bediene. Wenn es so viele Unterschiedlichkeiten gibt, fragst du dich jetzt vielleicht, wie soll ich die alle in meiner Kommunikation berücksichtigen? Natürlich sollst und kannst du nicht jede individuelle Person und Gruppe direkt und explizit ansprechen. Das wäre auch gar nicht im Sinne der Intersektionalität, macht sie doch deutlich, dass sich die Dimensionen vermischen und überschneiden.
Welche Kategorien für dich im Speziellen wichtig sind, hängt von deiner Zielgruppe und deinem Angebot ab. Die Menschen, die du erreichen möchtest, grenzt du ein – zum Beispiel nach ihrem Alter, ihrer Sprache, ihrem Geschlecht, ihrem sozialen Status oder ihren Vorlieben. So fallen schonmal Kategorien weg. Und: Nicht jedes Produkt zwingt dich dazu, marginalisierende Merkmale deiner Zielgruppe konkret anzusprechen. Es besteht weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit, jede Gruppe einzeln zu betrachten. Vielmehr solltest du sie inklusiv einbeziehen und ganz natürlich vielfältige Darstellungen verwenden.
Genau das ist es, was du von Intersektionalität lernen kannst: Individuelles Marketing für einzelne marginalisierte Gruppen innerhalb deiner definierten Zielgruppe ist kontraproduktiv. Dich mit verschiedenen Diskriminierungsformen und Erlebniswelten mehrfach marginalisierter Menschen zu beschäftigen, hilft dir, deine Zielgruppe als ganze inklusiver anzusprechen. Denn dir wird automatisch bewusster, welche Stereotype und Klischees du ausräumen musst und welche Formulierungen angebracht sind. Bis dahin ist es natürlich ein längerer Prozess, bei dem ich dich gern begleite.
Na, wusstest du schon, was Intersektionalität ist? Lass mich in den Kommentaren gerne wissen, wozu dich dieser Artikel inspiriert!
Quellen/zum Weiterlesen:
Eintrag zu Intersektionalität im Gender-Glossar
Buch: Meyer, Katrin: Theorien der Intersektionalität. Zur Einführung, Hamburg: Junius Verlag 2017.