In einer Challenge auf Instagram habe ich einige meiner Follower*innen dazu befragt, wie sie eigentlich dazu gekommen sind, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Waren sie am Anfang skeptisch? Was hat sie überzeugt? Und gendern sie nun wirklich immer und überall?
Wenn du selbst noch am Anfang deiner Reise stehst und dir gar nicht sicher bist, ob du überhaupt gendern möchtest, werden dich diese Geschichten sicher inspirieren. Vielleicht findest du dich ja sogar darin wieder! Los geht’s mit den fünf Fragen, die die Teilnehmer*innen der Challenge mir freundlicherweise beantwortet haben.
Wie bist du zum ersten Mal mit dem Gendern in Berührung gekommen?
Klar, mittlerweile ist geschlechtergerechte Sprache fast überall zu finden. Ich habe gehört, dass mittlerweile sogar in der Schule darüber gesprochen wird! Aber bei den meisten von uns dürfte dieses Thema noch nicht auf dem Lehrplan gestanden haben. Und so lief das erste Date mit dem Gendern bei jeder und jedem unterschiedlich ab.
Silvana sagt:
„Das erste Mal bin ich mit dem Gendern während meiner Zeit in der Musikschule in Berührung gekommen. Da hingen nämlich immer ganz viele Berichte von den letzten Konzerten an den Wänden. Und während ich auf meine Stunde gewartet habe, habe ich die gelesen. Da habe ich mich immer gewundert, warum da so ein großes I im Wort ist, also z. B. ‚MusikschülerInnen‘. Das war eben das Binnen-I, das damals anscheinend städtisch vorgeschrieben war oder was auf jeden Fall die Musikschule für sich gewählt hatte. Da habe ich dann auch meine Mutter gefragt, was das bedeuten soll.“
Carolins erste Begegnung fand etwas später statt:
„Ich habe Soziologie studiert. Da passiert sowas gelegentlich. Außerdem war ich als Bloggerin in der feministischen Online-Bubble aktiv. Gendern gehörte 2010 schon zum guten Ton an der Uni, auch wenn es krasse und teils echt fiese Diskussionen um das Thema in der Uni-Facebookgruppe gab.“
Julia hatte zum ersten Mal beruflich mit dem Gendern zu tun:
„Zum ersten Mal wurde mir gendern verordnet, als ich für eine Zeitschrift zur Berufsorientierung der Bundesagentur für Arbeit geschrieben habe.“
Und bei Mary war es so:
„Das erste Mal, dass ich mit dem Gendern in Berührung gekommen bin, war, als ich angefangen habe, mich mit Politik auseinanderzusetzen. Da ich mich damals gleich auch mit linken Themen beschäftigt habe, waren da auch gleich Leute da, die gegendert haben.“
Warst du am Anfang skeptisch? Wo hast du Probleme gesehen?
Sind wir mal ehrlich: Fast alle Menschen sind zunächst ein bisschen skeptisch, wenn sie etwas Neuem begegnen. Und so hatten zur zweiten Frage auch die meisten Teilnehmer*innen etwas zu erzählen. Die größte Kehrtwende hat wohl Jane gemacht. Sie war früher der Inbegriff einer Gegnerin des Genderns:
„Der erste Punkt, der mich gestört hat, war, dass ich damals dachte, Gendern verhunzt die Sprache. Also ich war eine radikale Sprachbeschützerin, auch noch in anderen Punkten, das hat sich mittlerweile aber gelegt, aus verschiedenen Gründen.“
Das war aber nicht das einzige Argument, das für Jane gegen das Gendern sprach:
„Punkt zwei: Ich habe meistens in der Nachrichtenredaktion gearbeitet, und das eben nicht online oder für eine Zeitung, sondern fürs Radio. Das heißt, diese Nachrichten werden gesprochen. Und bei gesprochenen Nachrichten gibt es nur eine begrenzte Zeit, damit das Programm noch aufgeht. Immer zur vollen Stunde z. B. kommen die Nachrichten und dann werden die Beiträge dazwischen geplant. Und das muss ja aufgehen. Damit ist für uns Nachrichtenredakteure klar: Wir haben insgesamt drei oder dreieinhalb Minuten. Das heißt, dass wir pro Meldung vielleicht 30, 40 Sekunden Zeit haben. Und es ist so schon schwer, komplexe Themen in dieser Zeit so zu erklären, dass jeder sie versteht. Wenn ich dann noch gendere, geht noch mehr Zeit verloren.“
Auch Mary war anfangs skeptisch:
„Ich fand es halt mega unnötig, weil ich mir dachte: Ok, eigentlich fühle ich mich doch angesprochen, wenn wir jetzt nur ‚Autoren‘ sagen. Warum muss ich da jetzt extra nochmal das Geschlecht betonen? Warum muss ich differenzieren, ob das jetzt eine Frau oder ein Kerl ist, den ich anspreche? Also ich habe von mir auch immer gesagt: Ich bin Autor.“
Und Jasmin fand die Auswirkungen auf den Lesefluss teilweise kritisch – das sieht sie auch heute noch so.
Was hat dich letztendlich dazu bewegt, zu gendern?
Besonders spannend finde ich ja, was Menschen schließlich dazu bringt, geschlechtergerechte Sprache zu nutzen. Warum sie es dann trotz aller Skepsis doch wichtig finden. Und diese Geschichten zeigen einfach, dass es nicht den einen Weg gibt, dass es ein Prozess ist, der Zeit braucht. Und das ist völlig in Ordnung.
Bei Silvana war es so:
„Das erste Mal, dass ich mit den Gender-Studies in Berührung gekommen bin, das war so am Ende meines Bachelorstudiums. Da war ich total geflasht von den ganzen neuen Erkenntnissen und fand das auch direkt total überzeugend. Und diese feministische Grundhaltung dahinter, die hat mich dann auch total davon überzeugt, dass es wichtig ist, gendersensibel zu sprechen.“
Mary hatte plötzlich verstanden, dass es beim Gendern nicht nur um sie geht:
„Was dann der Punkt war, der meine Sicht geändert hat, ist, dass mir einfach klargeworden ist: Okay, Gendern ist wichtig, da ich Rücksicht darauf nehmen möchte, wenn Leute sich nicht angesprochen fühlen. Ich möchte einfach jeden ansprechen, weil es mir wichtig ist.“
Jane ließ sich von wissenschaftlichen Erkenntnissen überzeugen und stellte fest, dass geschlechtergerechte Sprache eigentlich genau ihren Werten entspricht:
„Ich habe zuerst über Facebook in meinem Feed Studien gesehen zu dem Thema und dann angefangen, mich auch aktiv belesen. Also es hat mich nicht so richtig losgelassen. Und ich habe dann immer wieder gesehen, dass Gendern wirklich was zu bringen scheint. Also es gibt da z. B. Untersuchungen darüber, welche Bilder im Kopf erzeugt werden, wenn man Sätze sagt wie: ‚Drei Ärzte stehen beim Bäcker.‘ Und es ist dann so, wenn man diesen Satz sagt, dass die meisten Leute männliche Ärzte im Kopf haben. Wenn man aber gendert, haben sie auch weibliche Ärzte im Kopf, also es ist halt beides dann. Also dieses Bild im Kopf ist ein anderes.
Und ich bin überzeugt davon, dass Gedanken Taten machen, also Gedanken sind die Vorstufe zu Taten. Und ich habe dann nach einer ganzen Weile, also es war echt ein relativ langer Prozess, gedacht: Mir ist es wichtiger, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Männer und Frauen tatsächlich gleichgestellt sind, auch in den Köpfen, als dass die Sprache irgendwie schön aussieht. Und dann habe ich angefangen zu gendern.“
Gendern lernen im Online-Workshop
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- was du sonst noch für eine Vielfalt wertschätzende Kommunikation tun kannst.
Wie genderst du jetzt? Und in welchen Kontexten?
Natürlich wollte ich auch wissen, wie die nun überzeugten Teilnehmer*innen heute gendern. Julia zum Beispiel hat Verschiedenes ausprobiert:
„Ich bin vom Binnen-I (weil ich es so schön hinterlistig fand) zum Sternchen (weil es auch das dritte Geschlecht sichtbar macht (gewechselt).“
Auch bei Jasmin ist es unterschiedlich:
„Ich gendere nicht generell in jedem Text. Wie stark ich auf gendergerechte Formulierungen achte, ist von der Textsorte, der Zielgruppe und den Kundenwünschen abhängig. Ich gendere mit Schrägstrich, Doppelnennung oder Binnen-I.“
Einig sind sich dagegen Mica, Carolin und Silvana – sie alle verwenden gern das Sternchen.
Silvana: „Ich gendere mit Gendersternchen und wenn ich spreche, dann probiere ich auch immer, eine Lücke zu lassen, also z. B. Schüler innen.“
Carolin: „Ich gendere meist mit Sternchen. Ansonsten nutze ich oft das Wörterbuch von Geschickt gendern oder formuliere meine Texte halbwegs neutral.“
Mica: „Ich benutze jetzt das Gendersternchen hauptsächlich, weil wir das auch in meinem Beruf benutzen.“
Jane hat sich für den Doppelpunkt entschieden:
„Zuerst habe ich mit Stern gegendert. Das habe ich jetzt Anfang des Jahres verworfen und bin auf den Doppelpunkt umgestiegen – und zwar aus einem Website-Grund. Es ist nämlich so, dass sich sehbehinderte Menschen Texte online vorlesen lassen können und das klingt beim Gendern ggf. ein bisschen blöd. Also wenn man ein Binnen-I verwendet, dann wird quasi nur die weibliche Form gelesen, also z. B. ‚Kundinnen‘. Wenn man das mit Sternchen macht, liest das Leseprogramm das Sternchen mit, also Kund-sternchen-innen. Mit Unterstrich ist das das Gleiche, der wird auch mitgelesen. Das ist blöd. Dann gibt es natürlich die Variante ‚Kundinnen und Kunden‘, aber das ist wieder lang und sperrig und da doppelt man sich in manchen Texten ziemlich. Und ich bin dann auf den Doppelpunkt umgestiegen, weil der nämlich mit einer kleinen Pause gelesen wird.“
Gibt es Situationen, in denen du nicht genderst oder es schwierig findest?
Geschlechtergerechte Sprache ist nicht immer total einfach anzuwenden. Es wäre falsch, zu sagen, dass sie keine Nachteile hätte. Und so gendern viele Menschen zwar häufig, in manchen Situationen aber nicht – sei es, weil sie in Leichter Sprache schreiben, sprechen oder Texte für ihre Kund*innen verfassen.
Carolin sagt:
„Manche Kund:innen mögen keine gegenderten Texte. Dann formuliere ich neutral oder mache es ihnen durch besonders schöne Texte schmackhaft.“
Auch Mary gendert berufsbedingt nicht immer:
„Es gibt auch Situationen, in denen ich bewusst nicht gendere. Das liegt einfach daran, dass ich als Autorin Romane schreibe. Und es wäre mega weird, wenn dann mein Drogenboss auf einmal anfangen würde zu gendern. Das würde einfach nicht zu der Figur passen, da korrekt zu gendern. Ich habe aber auch noch ein paar andere Figuren, bei denen das tatsächlich passt, wo ich das dann auch versuche. Aber im Fließtext zu gendern und nicht nur in der wörtlichen Rede, finde ich sehr ungeschickt, wenn es um ein längeres Werk geht.“
Für Julia liegt die Würze in der Kürze:
„Bei Zeichenbegrenzungen, also z. B. in Überschriften oder in Google Ads oder anderen kurzen Werbetexten, gendere ich nicht.“
Jasmin sieht das ähnlich:
„Zum Beispiel bei Websitetexten: Dort lege ich den Fokus auf SEO und kurze und klare Informationen. Oder natürlich auch bei Headlines für Plakate, Slogans oder Wortspielen – das würde oft holprig klingen und nicht funktionieren.“
Mica versucht eigentlich immer zu gendern, aber da kommt ihr die Macht der Gewohnheit in die Quere:
„Schwierig finde ich es, mündlich zu gendern, ich versuche es immer. Also ich gebe in meinem Job so kleine Fortbildungen. Und da versuche ich immer, mündlich zu gendern. Da gelingt mir das auch ganz gut, weil da mein Fokus auch wirklich drauf liegt. Aber außerhalb dessen, also im privaten Umfeld, entgleitet mir das dann doch immer wieder.“
Irgendwann geht das Gendern in Fleisch und Blut über
Die Geschichten zeigen, dass es in Sachen geschlechtergerechter Sprache eben nicht den einen richtigen Weg gibt. Alle dürfen in ihrem eigenen Tempo lernen, ausprobieren und Erfahrungen mit dem Gendern machen. Und irgendwann wird es einfach zur Gewohnheit. Das zeigt auch eine kleine Anekdote, die Mica mir erzählt hat:
„Eine Kollegin hat mir mal erzählt, dass ihr Kind schon ganz natürlich anfängt, zu gendern. Das klingt sehr süß, zeigt aber auch, dass es einfach nur eine Gewöhnungssache ist und dass wir uns alle daran gewöhnen können. Das fand ich super spannend und das fände ich gut, wenn es in Fleisch und Blut übergehen würde.“
Wie ist das bei dir? Möchtest du deine Geschichte auch erzählen? Dann schreib sie einfach in die Kommentare!
Danke an meine wunderbaren Teilnehmer*innen:
- Carolin Kresse ist Sextexterin und Expertin für die Erotikbranche.
- Silvana Schmidt ist freie Lektorin und arbeitet daran, das Gendern auch in der Belletristik zu etablieren.
- Jasmin Huwyler arbeitet als Texterin, Lektorin und Schreibcoach in der Schweiz.
- Julia Wißmeier ist freie Texterin und Bloggerin
- Mary Lee Wagner ist Autorin und schreibt Romane.
- Mica Bara ist Autorin, Schauspielerin, Sängerin und arbeitet in der Prävention sexualisierter Gewalt.
- Jane Schmidt ist Texterin und Beraterin für Suchmaschinenoptimierung (SEO).
Wenn du alle Geschichten (inklusiver meiner) sehen möchtest, schau auf Instagram vorbei!